Viva la Grischa in Nahost – die Bilanz

WorldSkills Abu Dhabi 2017

Viva la Grischa in Nahost – die Bilanz

25. Oktober 2017 autoberufe.ch –  Elfmal Gold, sechsmal Silber, dreimal Bronze: Die Bilanz der Schweizer Delegation an den Berufsweltmeisterschaften in Abu Dhabi kann sich sehen lassen. Automobil-Mechatroniker Riet Bulfoni verpasste das Podest um wenige Punkte und schloss auf Rang 8 ab. «Er legte einen souveränen Auftritt hin – beste Werbung für die Autoberufe und das duale Berufsbildungssystem», bilanziert Olivier Maeder vom AGVS.


Familie und Verband im Rücken: Riet Bulfoni mit Schweizer Meister Janik Leuenberger (l.), seinen Liebsten und Olivier Maeder (r.), beim AGVS für Bildung zuständig, der dem WM-Fahrer mit Rat und Tat zur Seite stand.

om/tki. «Einerseits bin ich schon ein wenig enttäuscht», gibt Riet Bulfoni unverblümt zu. Denn der bodenständige Automobil-Mechatroniker und WM-Fahrer befindet sich auf dem Weg zur Diplomübergabe: «Für eine Medaille hat es nicht gereicht.» Trotz der Enttäuschung, an zwei wichtigen Posten nicht die volle Leistung abgerufen zu haben, bleibt Zeit, sich zu freuen: über ein internationales Abenteuer im Zeichen der Autoberufe, über einen Ausflug in die weltbekannte Ferrari World, über «grossartige Unterstützung» und schliesslich auch, nach vier Tagen Wettbewerbsdruck heim nach Scuol reisen zu können. «Es waren die anstrengendsten Tage meines Lebens», so der 22-Jährige.

Fachwissen und Nervenstärke
«Die Aufgabenstellungen forderten den WorldSkills-Teilnehmern nicht nur körperlich, sondern auch mental alles ab», erklärt Olivier Maeder von der AGVS-Geschäftsleitung, der für den Bereich Bildung verantwortlich zeichnet. Grund genug für ihn, Riet Bulfoni vor Ort zu betreuen. «Auch wenn solch ein Grossanlass minutiös geplant ist, tun sich erfahrungsgemäss immer kurzfristig Schwierigkeiten auf», sagt Maeder schmunzelnd und muss unweigerlich an Bulfonis ersten Wettkampftag denken. 
Am ersten Posten am Nachmittag galt es, Fehler in der elektrischen Anlage, unter anderem an der Lichtanlage, zu diagnostizieren und zu beheben. «Eine Aufgabe, die Riet entspannt in Angriff nahm», so Maeder, «doch vorgängig waren die Kandidaten informiert worden, dass der am nächsten Vormittag geplante Posten ‹Engine Test› nicht durchgeführt werden kann.» Grund: Die dafür benötigten Motoren waren in Paris hängengeblieben. 

Konkurrenz auf Spitzenniveau
Obschon der Scuoler WM-Fahrer den organisatorischen Fauxpas gewohnt sportlich nahm, bedeutete dies, an den folgenden drei Wettkampftagen ein ebenso sportlich gestecktes Programm zu absolvieren. «Das setzte nicht nur mentale Stärke und hoch fokussierte Arbeit voraus, sondern auch Selbstbewusstsein», erörtert Maeder im Hinblick auf die starken internationalen Mitbewerber. 

Eine Beobachtung, die von den SwissSkills-Verantwortlichen bestätigt wird: «Die Konkurrenzsituation an WorldSkills hat sich im letzten Jahrzehnt laufend verschärft, immer mehr Nationen 
– insbesondere aus Asien und auch aus Südamerika – bereiten ihre jungen Berufsleute über mehrere Jahre sehr spezifisch auf die Anforderungen an den WorldSkills vor.»


Wenn Berufsbildung Schule und beste Werbung macht: Viele Bündner Bekannte lassen es sich nicht nehmen, Riet Bulfoni nach Abu Dhabi zu begleiten.

Knacknuss Motorenmanagement
Dass ausgerechnet Riet Bulfonis Steckenpferd, das Motorenmanagement, zur Bewährungsprobe werden würde, enttäuschte doppelt: «Die Minuten verstrichen und ich fand einfach keine Fehler», hält der sichtlich enttäuschte WorldSkills-Teilnehmer fest. 
Der mitgereiste Flavio Helfenstein, seines Zeichens Berufsweltmeister Automobil-Mechatronik 2011, relativiert: «Ich rechne Riet hoch an, dass er sich nach seinem Taucher gefangen und wieder Topleistungen erbracht hat.» 

Weiter im Programm
Doch keine Zeit, sich über verlorene Chancen und Punkte aufzuregen. Bereits einige Stunden später stand der Posten «Brakes» auf dem Programm. «Nachdem Riet anfänglich relativ hektisch zwischen Modell und Arbeitstisch hin- und hergerannt war, war er so richtig warmgelaufen», konstatiert Maeder. Die Beurteilung des Experten zur geleisteten Arbeit freute Riet nach dem verpatzten Start in den Tag umso mehr – «nearly perfect» lautete das Fazit. Am Posten «Bremsen» hatte übrigens auch der Luzerner Garagist Flavio Helfenstein einen Grosseinsatz zu meistern. Während der vier Wettkampftage beurteilte er zwölfmal zwei Stunden lang Automobil-Mechatronik-Kandidaten. 

Unterstützung motiviert
Dass die lange, intensive Vorbereitung in der Schweiz im Nahen Osten nicht vor Fehler schützen wurde, wurde Riet Bulfoni am Ende des intensiven dritten WM-Tags schmerzlich bewusst. «Das war ein komischer Tag», erzählte er im Interview mit SwissSkills erschöpft. Nach dem Einbruch am Motorenmanagement sei er am Boden und deprimiert gewesen. «Aber ich hatte viel Unterstützung hier vor Ort, auch vom SwissSkills-Team. Sie haben mich wieder aufgebaut und so konnte ich am Nachmittag wieder voll zuschlagen.» 

Den Hauch Bündner Mentalität, den die gut 50 mitgereisten Fans – darunter auch Radiotelevisiun Svizra Rumantscha – im und um das WorldSkills-Gelände versprühten, schien Wirkung zu zeigen. Auf einmal lief für Riet Bulfoni wieder alles perfekt: «Ich fand am Posten ‹Elektrik/Elektronik› Fehler um Fehler und hatte gar noch Zeit zur Verfügung». Wobei: Einen kapitalen Fehler machte er doch. «Riet hatte noch so viel Zeit zur Verfügung, dass er sogar den Boden sauberwischte – und das vor den Augen seiner mitgereisten Mutter», fügt Maeder lachend an. Ein Zusatzengagement, über das er sich mit Mama nochmals unterhalten müsse, so Bulfoni mit einem Augenzwinkern.


Kulturen, Begegnugen, Teamgeist: Riet Bulfoni mit Mitgliedern des SwissSkills-Teams beim Empfang in Abu Dhabi, dem Emirat am Persischen Golf.​

Zeitdruck und Schwerstarbeit
Der Posten «Fahrwerk/Lenkgeometrie» appellierte am vierten WM-Tag nochmals an die Muskelkraft des Mitarbeiters der Central-Garage Denoth in Scuol. So musste Bulfoni innerhalb von 120 Minuten unter anderem diverse fehlerhafte Bauteile aus­wechseln. «Das Messprotokoll des Achs­vermessungscomputers druckte Riet zeit­gleich mit der Schlusssirene aus», schildert Maeder die zeitlich eng bemessene Aufgabenstellung.

Nach der Mittagspause wartete mit der Aufgabe «Engine Tune» schliesslich ein Motor auf Riet, der nicht starten wollte. Maeder: «Die Geduld unseres Teilnehmers wurde arg strapaziert, da es der Experte mit der Instruktion der Aufgabe äusserst genau nahm.» Eine Drucksituation, aus der sich Riet Bulfoni indes hinausmanövrieren konnte, lief es dem Engadiner doch nach der ersten Viertelstunde kontinuierlich besser. «Riet fand Fehler um Fehler», zeigt sich der AGVS-Fachmann zufrieden. Auch die Arbeitskulisse dürfte zur Höchstform Bulfonis beigetragen haben. Während der letzten halben Stunde sammelten sich mehr und mehr Schweizer Supporter an, um Riets Wettkampfendspurt zu feiern. 



Ein Diplom im Gepäck
Zu feiern gab es am späten Abend der Schlusszeremonie am 19. Oktober zwar keinen Podestplatz, Fakt ist aber: Riet Bulfoni geht als Teil der bisher erfolgreichsten Schweizer Berufs-WM-Delegation in die Geschichte ein (siehe Video). Als Achtplatzierter in einem 35-köpfigen Teilnehmerfeld hinter den Spitzenkandidaten Min-Heng Chen (Gold, Chinesisch Taipeh), Wenhao Yang (Silber, China) und den beiden drittplatzierten Yuya Shimohara (Japan) sowie Muhammad Asyraff Yusni (Malaysia) zwar ohne Edelmetall, aber mit neuem Wissen und Erfahrungen im handwerklichen Rucksack. «Und er darf ein Diplom, die sogenannte ‹Medaillon of Excellence›, mit nach Hause nehmen – das sieht auch ein wenig aus wie Edelmetall», schliesst Maeder, zwischen Abschlusszeremonie und Flughafen opti­mis­tisch gestimmt, dass das Schweizer Autoberufshandwerk im Nahen Osten beste Werbung erhalten habe. 

 

Der AGVS ist zufrieden
Olivier Maeder ist sich gewiss: Die Vorbereitung und Begleitung der WorldSkills hat sich sowohl für die Autoberufe als auch für den Verband gelohnt. Solch ein Grosseinsatz lasse das Gewerbe näher zusammenrücken: «Ein grosser Dank geht an Riets Support-Team in Abu Dhabi, unter anderem bestehend aus seiner Familie, seiner Freundin Désirée Schweizer, seinem Chef Flurin Denoth von der Central-Garage Denoth in Scuol, seinem Berufsschullehrer, seinem üK-Werkstattlehrer, seinen Diagnostiker-Lehrern, unseren Automobil-Mechatroniker-Schweizer-Meister Janik Leuenberger und natürlich an Flavio Helfenstein.»

Weitere Impressionen in der AUTOINSIDE-Novemberausgabe sowie online unter autoberufe.ch. Auf dem Facebook-Kanal Autoberufe - metiersauto - professioneauto und dem Instagram-Auftritt von autoberufe.ch finden sich ebenfalls diverse Video- und Bildbeiträge.
Carrosserie-Profis holen Silber und Bronze
Maurus von Holzen aus Büren, Nidwalden (Bronze in Carrosserie Lackiererei) und Heiko Zumbrunn aus Wittinsburg, Baselland (Silber in Carrosserie Spenglerei) erzielten an den WorldSkills mit starker Konkurrenz ein Top-Ergebnis, so die erfreulichen Neuigkeiten vonseiten des Schweizerischen Carrosserieverbands VSCI. 

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