«Der Unternehmergeist unserer Garagisten soll in der Politik noch mehr Anerkennung finden»

Interview mit Urs Wernli

«Der Unternehmergeist unserer Garagisten soll in der Politik noch mehr Anerkennung finden»

14. Juni 2018 agvs-upsa.ch – «Der Garagist muss sich vom Reparateur hin zu einem Mobilitätsdienstleister im umfassenden Sinn entwickeln, weil sonst seine geschäftliche Tätigkeit in Frage gestellt ist», sagt Urs Wernli, der an der Delegiertenversammlung für weitere drei Jahre im Amt bestätigt wurde. Als AGVS-Zentralpräsident will er weiter einen aktiven Beitrag dazu leisten, dass das Autogewerbe nach innen weiter solidarisch zusammenwächst.
 
kro. Urs Wernli, herzliche Gratulation zur Wiederwahl als AGVS-Zentralpräsident. Was hat Sie motiviert, sich nochmals zur Wahl zu stellen?
Urs Wernli: Zum einen die grosse Verantwortung, die ich sehr gerne weiter für drei Jahre wahrnehme. Ich will im Sinne der Kontinuität den AGVS zusammen mit meinen Kollegen im Zentralvorstand, der Geschäftsleitung und den Mitarbeitenden in der Geschäftsstelle weiterführen und meinen Beitrag dazu leisten, dass das Autogewerbe nach innen weiter solidarisch zusammenwächst und nach aussen stärker wahrgenommen wird. Durch all die Begegnungen mit Mitgliedern, Chargenträgern und Partnern fühle ich eine sehr enge Verbundenheit mit dem Autogewerbe und einen starken Unternehmergeist, der ich auch in der Politik noch mehr Anerkennung finden soll.
 
Aufgrund Ihrer regelmässigen Gespräche mit AGVS-Mitgliedern wissen Sie, was sie beschäftigt. Wo drückt heute der Schuh am meisten?
Die rückläufigen Margen spürt das einzelne Mitglied direkt und täglich. Die angespannte Ertragslage führt immer öfter dazu, nötige Investitionen nicht tätigen zu können. Dass Hersteller auf Basis der technischen Entwicklung konsequent den direkten Kontakt zum Endkunden suchen, trägt zusätzlich zu einer Verunsicherung bei. Und natürlich fragt sich das einzelne Mitglied und seine Mitarbeitende, was ihre Rolle im Mobilitätsbusiness der Zukunft sein wird.
 
Es sind grundsätzlich vier Entwicklungsfelder, die gerade in ihrer Kombination erhebliche Auswirkungen auf das Autogewerbe haben werden: vernetzte, autonome, geteilte und elektrifizierte Fahrzeuge. Welcher Trend wird die grösste Auswirkung haben?
Viele sagen, es sei die Elektromobilität. Ich sehe das differenzierter: Elektrisch angetriebene Fahrzeuge haben zwar einen deutlich geringeren Unterhaltsbedarf, müssen aber trotzdem gewartet werden. Dazu ist der Garagist am besten qualifiziert. Die grössere Herausforderung ist die Konnektivität, der Zugang zu Fahrzeug- und Nutzerdaten und die Arbeit damit. Wenn der einzelne Garagist hier ausgeschlossen wird, verliert er seine grösste Trumpfkarte, die er hat: den direkten Kundenkontakt und die damit verbundenen Informationen über den Kunden.

Warum ist es dem AGVS so wichtig, dass sich das einzelne Mitglied vom Reparateur hin zu einem Mobilitätsdienstleister im umfassenden Sinn entwickelt?
Weil sonst seine geschäftliche Zukunft in Frage gestellt ist. Es geht grundsätzlich darum, den Beratungsaspekt stärker zu gewichten. Das Wissen um die verschiedenen Antriebstechnologien ist bei vielen Automobilisten noch entwicklungsfähig. Genauso das Thema Energieeffizienz oder die Pflege und der Unterhalt des Fahrzeugs am Beispiel Microrepair. Durch eine dienstleistungsorientierte Haltung kann der Garagist seine Kunden positiv überraschen und das Verhältnis zu ihnen vertiefen. Unter der Leitung von Markus Aegerter bietet der AGVS zusammen mit Kooperationspartnern heute schon eine breite Palette an Dienstleistungen und Produkten, die jetzt sukzessive auch in den digitalen Bereich übertragen werden.
 
Im Autogewerbe wirken unterschiedliche Kräfte: Kleinere Betriebe spezialisieren sich zunehmend in Nischen, während grosse Betriebe durch Zukäufe immer grösser werden. Bereitet Ihnen diese Entwicklung Sorgen?
Ja. So nachvollziehbar diese Verschiebungen ökonomisch sind, sie verändern eine gesunde Mischung aus unterschiedlich grossen Betrieben und damit die Struktur unseres Gewerbes. Doch das ist der Markt. Unter dieses Kapitel fallen auch die aktuellen Netzwerkbereinigungen der Importeure, die über vielen Köpfen hängen wie Damoklesschwerter. Wichtig ist, dass das einzelne Mitglied seine betriebswirtschaftlichen Kennzahlen im Griff hat und früh genug merkt, wenn sich eine Veränderung abzuzeichnen beginnt. Wir als Verband stehen zusammen mit unseren Kooperationspartnern jederzeit mit Rat zur Verfügung.
 
Eine nicht repräsentative Umfrage auf agvs-upsa.ch hat ergeben, dass ein Viertel der Betriebe mit der Entwicklung des Umsatzes, über ein Drittel aber mit der Entwicklung des Gewinns nicht zufrieden sind. Zwischen Umsatz und Gewinn geht in vielen Betrieben zunehmend eine Schere auf.
Die Entwicklung gibt uns im Zentralvorstand zu denken, auch wenn sie nicht neu ist. Der Umsatz pro Mitarbeiter nimmt seit 2014 zu, aber die Margen sinken aufgrund von Faktoren wie der Währungs- und Wettbewerbssituation. Vielerorts auch aufgrund von höheren Personalkosten. Wenn der Garagist am verkauften Neuwagen kaum mehr etwas verdient, während der Hersteller Milliardengewinne realisiert, dann ist das nicht nur unverständlich, sondern inakzeptabel. Hier sind die Hersteller und Importeure in der Pflicht, dem Händler eine angemessene Rendite zu ermöglichen.
 
Die sinkenden Margen im Neuwagengeschäft müssen durch den Ertrag im Aftersales kompensiert werden. Wie soll das gehen, wenn plötzlich alles elektrisch unterwegs sein wird?
Es ist ja nicht so, dass von heute auf morgen nur noch e-Fahrzeuge auf der Strasse verkehren. Selbst Elektromobil-Enthusiasten rechnen bis 2030 mit einem Marktanteil von 25 bis 30 Prozent aller Neuzulassungen wohlverstanden, nicht des gesamten Fahrzeugbestandes. Das heisst, dass der Anteil an Fahrzeugen mit Verbrennungsmotor auf absehbare Zeit stark dominieren wird. Aber verstehen Sie mich richtig: Zeit für die Umstellung zur Verfügung zu haben ist keine Einladung, Zeit zu verlieren.
 
Zwei Drittel der Betriebe sagen, sie hätten Mühe, genügend und vor allem geeignete Lernende zu finden. Was tut der Verband, um die Mitglieder zu unterstützen?
Unter der Leitung von Olivier Maeder nutzt unser Team auf allen Kanälen jede sinnvolle Gelegenheit, um Junge auf die attraktiven Möglichkeiten aufmerksam zu machen, die unsere Berufe bieten. Im Dezember 2017 haben wir die neue Website autoberufe.ch aufgeschaltet, anfangs 2019 lancieren wir ein inspirierendes Video für die Zielgruppe der 13- bis 16-jährigen, das wir anschliessend konsequent über alle Kanäle verbreiten, insbesondere natürlich über Social Media. Die Botschaft ist ganz klar: Autoberufe haben Zukunft, auch weil die motorisierte individuelle Mobilität weiter an Bedeutung gewinnen wird. Der Beweis, wie gut die Ausbildung und damit die fachlichen Eignung der Mitarbeitenden im Autogewerbe ist, zeigt sich nicht zuletzt daran, dass ein namhafter Teil unserer Fachkräfte später von anderen Branchen abgeworben wird.
 
Die Entwicklung der Autobranche hat in den vergangenen Jahren enorm an Dynamik gewonnen. Den Überblick zu behalten ist für das einzelne Mitglied allein schon aus zeitlichen Gründen unmöglich. Was tut der Verband hier?
Der AGVS beobachtet die verschiedenen Entwicklungen im Auftrag seiner Mitglieder sehr aufmerksam und macht sie primär über seine Medien – AUTOINSIDE, Website, Newsletter – sowie über die AGVS-Kundenberater auf alles aufmerksam, was Einfluss haben kann auf ihr heutiges oder künftiges Geschäftsmodell. Das haben inzwischen immer mehr Mitglieder und Partner realisiert, anders lassen sich die enormen Zuwachsraten bei den Lesern und Nutzern nicht erklären. Und vergessen Sie den «Tag der Schweizer Garagisten» nicht – die jährlichen Rekorde an Gästen haben auch damit zu tun, dass wir Themen behandeln, die für das einzelne Mitglied von hoher Relevanz sind.
 
Eine vielerorts wahrnehmbare Entwicklung der letzten Jahre ist der Ausbau der eigenen Medien. Welche Überlegungen stehen da dahinter?
Die Digitalisierung hat Verbänden und anderen Organisationen die Möglichkeit geboten, sich mit einem verhältnismässigen Aufwand von der jahrzehntelangen Abhängigkeit der klassischen Medien zu lösen. Wir haben das getan, erste Erfahrungen gesammelt, darauf auf- und mit Augenmass ausgebaut. Der Erfolg hat uns recht gegeben: Die AGVS-Medien finanzieren sich auch dank einer professionellen Vermarktung heute selber. Das ist in der Verbandslandschaft eine Leistung, die nicht selbstverständlich ist. Diese Eigenfinanzierung erlaubt uns, unsere Mitglieder nutzwertorientiert zu informieren und sie dadurch in ihrer täglichen Arbeit zu unterstützen.
 
Im Zentralvorstand kommt es zu einer Ersatzwahl. Andri Zisler wird Kurt Aeschlimann ersetzen, der sich nach langjährigem und treuem Engagement aus dem ZV zurückzieht. Wo sehen Sie für den ZV die grössten Herausforderungen für die nächsten Jahre?
Dass es uns gelingt, unsere Mitglieder von der Notwendigkeit zu überzeugen, sich mit ihrer ganz persönlichen geschäftlichen Zukunft auseinanderzusetzen. Es geht darum, bei jedem einzelnen AGVS-Mitglied das Bewusstsein zu fördern, dass es sich noch stärker als Dienstleister gegenüber seinen Kunden positionieren soll. Und dass es alles daran setzt, die für ihn zentral wichtige persönliche Beziehung zu seinen Kunden zu vertiefen. Der einzelne Garagist ist und kann noch stärker zur eigenen Marke werden. Das alleine ist noch keine Überlebensgarantie, aber ein nachhaltiger Schutz.

 
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